Gautagung Nationale Front 1938

Aus WikiSpeicher
Postkarte Schülerabend Trogen 1930.jpg

In der Zeit weit vor und während dem 2. Weltkrieg kamen auch in der Schweiz Sympathien für Hitlerdeutschland auf. Anklang fanden die Ideen nicht zuletzt an Universitäten und Mittelschulen, beispielsweise im Lyceum Zuoz, aber auch in Trogen (she.Beispiel).
Bald organisierten sich Gleichgesinnte, oft verwendeten Gruppierungen dieser Art den Begriff „Front“ in ihrem Parteinamen: „Neue Front“, „Nationale Front“ etc. Zusammen mit u. a. der Nationalsozialistischen Eidgenössischen Arbeiterpartei (NSEAP) entstand so die sogenannte Frontenbewegung „Nationale Front“ mit ihren Mitgliedern, den Frontisten. Wo immer sich Zellen bildeten, entstanden NS-Sportgruppen, Jugendorganisationen nach dem Vorbild der Hitlerjugend, Chorgilden u. ä. Die übergeordnete Organisation wurde straff gegliedert, die Regionen in sogenannte Gaue mit entsprechenden Führungsstrukturen eingeteilt.
Besonders aktiv waren die Frontisten von etwa 1933 bis 1938, blieben aber wegen ihrer Nähe zum Nationalsozialismus weitgehend geächtet, so dass sich die Bewegung unter diesem Namen 1940 auflöste. Nationalsozialisten blieben aber aktiv, organisierten weiterhin patriotische Anlässe, einfach unter anderen Namen, z.B. „deutsche Arbeitsfront“

Trotz weit gehender Ächtung schafften schweizweit 125 Frontisten die Wahl in einen Gemeinderat, hauptsächlich in den Kantonen Schaffhausen, Zürich, Bern, Aargau, Thurgau und St. Gallen, einer (Mario Karrer) sogar ins St. Galler Kantonsparlament.
Die Frontenbewegung stand schon früh unter Beobachtung der politischen Polizei, eine Vielzahl von Polizeirapporten, Verhörprotokollen, Untersuchungsberichten etc. im Bundesarchiv legen davon Zeugnis ab.

Auch die Presse aus dem fast ganzen politischen Spektrum beobachtete und kommentierte die Aktivitäten der Frontisten mit Argwohn.

Gautag in St. Gallen und auf Vögelinsegg vom 3. Juli 1938

Am 3. Juli 1938 fand auf Vögelinsegg und in St. Gallen die letzte schweizerische Gautagung der „Nationalen Front“ statt. Es muss ein grosser Anlass gewesen sein, fand er doch Beachtung in allen Tageszeitungen der Ostschweiz, sogar in den Appenzellischen Jahrbüchern Band 66 von 1939 findet sich ein Satz, der quasi nebenbei auf das Ereignis hinweist:
Am Vögelinseggschiessen, […] hielt Herr Heiniger, Aarau, Präsident des Schweizerischen Schützenvereins, eine tiefgründige, patriotische Ansprache. — Von anderer, eher fremdartig anmutender Art, war der frontistische Gautag auf Vögelinsegg, veranstaltet von der Nationalen Front, der in der Presse nicht besonders glimpflich wegkam, aber zu keinen Ruhestörungen geführt hat.

Ein Programmteil des Gautags St. Gallen fand auf Vögelinsegg statt. Die Höhe von Vögelinsegg war im Laufe der Zeit öfters Schauplatz von Anlässen, wie schon 1825 für das erste Sängerfest. Für die Frontisten hatte vor allem das Schlachtdenkmal eine symbolische Bedeutung. Das Denkmal an die Schlacht von 1403 scheint ihrer Vorstellung von Unabhängigkeit, Freiheitskampf gegen Unterdrückung und Heldenmut entsprochen zu haben. Schon ein Jahr zuvor bestand wohl aus dem gleichen Grund für Vögelinsegg ein Ersuchen um die Erstellung einer Kriegergedenkstätte für in der Schweiz verstorbene internierte deutsche Soldaten aus dem ersten Weltkrieg. Einen weiteren Bezug der Frontisten zu Speicher stellte die Druckerei von Adolf Hauke dar, wo verschiedentlich frontistische Aufträge gedruckt wurden (Plakate, Programmhefte, Flugblätter etc.).

Ablauf des Gautags

Ursprünglich war eine Grossveranstaltung auf dem Marktplatz in St. Gallen geplant. Diese wurde aber verboten. Der von den Veranstaltern unter Leitung von Gauführer und Organisator Hans Kläui geplante Marsch in Formation und mit Fahnen und Trommeln von St. Gallen nach Vögelinsegg fand hingegen statt. In strömendem Regen überbrachten die Gauleiter den Teilnehmern auf der Wiese beim Schlachtdenkmal die Grüsse ihrer Gaue.
Das Mittagessen fand in den Gasthäusern von Speicher statt, ein gutes Geschäft für die Wirte!
Anschliessend an den Rückmarsch nach St. Gallen versammelten sich die Teilnehmer im Schützengartensaal zur Schlussveranstaltung, die wiederum geprägt war mit flammenden Reden.

Über die Teilnehmerzahlen kursieren unterschiedliche Zahlen. Die Zeitung „Die Front“ sprach von 1000 Marschierern und 1500 Besuchern im Schützengarten, im Polizeirapport ist für den Vögelinsegganlass von 500 Frontisten die Rede und die Volksstimme erwähnte 350 Teilnehmer.

Der Polizeirapport der politischen Polizei zur Veranstaltung schildert sowohl deren Ablauf , wie auch Auszüge von Reden mit Namensnennung der Redner.

Auch der damals 20-jährige Zeitzeuge Hans Eggenberger erwähnt die Gautagung in seinen Memoiren „Das Denkmal“ auf den Seiten 17 und 18.

Presseschau

Zeitung Volksstimme (sozialdemokratische Partei) vom 4. Juli 1938
„Gautag“ der Nationalen Front
Die nationale Front hat zu ihrem Gautag in Vögelinsegg per Bahn 800 Leute von Zürich und Schaffhausen nach St. Gallen gebracht. Zu ihnen gesellten sich noch etwa 50 Personen, die nicht mit der Bahn, sondern mit Autos usw. gekommen waren. Sie zogen am Sonntagmorgen während der Kirchenzeit mit Trommelgeschmetter durch die Stadt und kamen - dezimiert - am Nachmittag wieder nach St. Gallen zurück. In einigen Ortschaften des Appenzellerlandes wurde durch Autos die Front in den Briefkasten vertrieben. Alles in allem: kein erhebendes Bild!

Appenzeller Zeitung (liberal) vom 4. Juli 1938
Die nationale Front auf Vögelinsegg. Die Frontisten haben programmgemäß ihren Gautag auf Vögelinsegg durchgeführt. Ungefähr 500 bis 600 Mann stark rückten sie auf der historischen Höhe an. Es schien eine Zeitlang, der Regen werde die Kundgebung verunmöglichen. Als es nach halb 2 Uhr aber aufheiterte, wurde sie um 2 Uhr mit etwelcher Verspätung durchgeführt. Die Zahl der Teilnehmer aus den ansässigen Volkskreisen war unter diesen Umständen natürlich gering. Die ganze Veranstaltung vollzog sich in tadelloser Ordnung. In geschlossener Marschkolonne zogen die Gäste im Verlaufe des Nachmittags wieder nach St. Gallen. Da der Regierungsrat den Rekurs gegen das vom Stadtrat erlassene Verbot einer öffentlichen Kundgebung auf dem Marktplatz einstimmig abgelehnt hatte, musste die für die Gallusstadt geplante Veranstaltung in den „Schützengarten“ verlegt werden, in dem alles ruhig und geordnet zu und her ging. In gelöster Ordnung erreichten dann abends die Frontisten den Bahnhof, um wieder in ihre Stammquartiere in Zürich und Schaffhausen zurückzukehren.
Zu einer wortreichen Auseinandersetzung führte in Herisau gestern nachmittag das Erscheinen von Frontisten im Bezirk Wilen-Säge. Sie kamen in einem eleganten großen Zürcher Auto angefahren und verteilten auf der Straße wie auch in den Häusern „Die Front“. Die wenigsten Passanten nahmen jedoch die dargebotene Zeitung ab und von einigen andern wurde sie sogleich in Stücke zerrissen, so dass Industrie- und Waldstädterstraße mit vielen Fetzen überstreut waren. Zu einer Gaststätte wurde ihnen der Zutritt zwecks Verteilung des erwähnten Organs verweigert. In anständiger und wenig zarter Form wurde den Frontisten bedeutet, dass sie hierorts nichts zu suchen haben und ihre Ideen andernorts an Mann bringen sollen.

Appenzellische Landeszeitung vom 5. Juli 1938
Speicher. (Korr.) Die Mitglieder der Nationalen Front fanden sich letzten Sonntagvormittag, 500-600 Mann stark, in Speicher ein. Das Wetter war ihrem Vorhaben ungünstig. Bei leichtem Regenfall veranstalteten sie einen Umzug durch das Dorf, der keine große Beachtung fand. Nachmittags hielten sie auf dem Hügelrücken nordwestlich von Vögelinsegg eine Versammlung ab, wobei verschiedene Gauleiter Ansprachen hielten. Da der Korr. weder den Umzug gesehen noch der Versammlung beigewohnt hat, muss er sich in der Berichterstattung auf die Aussagen kompetenter Beobachter stützen. Diese erklärten, dass in Umzug und Demonstration stramme Ordnung geherrscht habe. Die Ansprachen waren vorbildlich kurz gehalten. Es wurde das Kampfblatt der Front verteilt. Zu demselben möchten wir nur bemerken, dass wir energisch protestieren, wenn darin behauptet wird, dass die Schweiz keine Regierung habe. Wir behaupten, dass wir in Kantonen und Bund ihrer Pflichten und Aufgaben bewusste Behörden besitzen, welche in ihren schweren Pflichten in Treue und vollem Verständnis für Land und Volk nachkommen. Wenn in der Abstimmung über die Finanzreform Sachen vorkamen, welche mit schwerstem Bedauern aufgenommen worden sind, haben Volk und Presse des gottlob noch gesunden Bürgerstandes den Mut gehabt, das am rechten Ort zu rügen. Die schweizerische Demokratie hat ihre Daseinsberechtigung auch in der eidg. Volksabstimmung über das Schweiz. Strafgesetz bewiesen.

Zeitung „Säntis“ vom 5. Juli 1938
Ein Gautag der nationalen Front wurde trotz der schlechten Witterung am Sonntag auf Vögelinsegg abgehalten. Es waren nach Berichten 500-600 Mann anwesend, während die heimische Bevölkerung mit geringen Ausnahmen der Veranstaltung, die in guter Ordnung verlief, fern blieb. Nachmittags zogen die Frontisten in geschlossener Marschkolonne nach St. Gallen wo sie im „Schützengarten“ tagten, weil die Behörden eine Kundgebung auf dem Marktplatz verboten hatten. In Herisau kam es bei der Durchfahrt eleganter Autos, deren Insassen Frontenflugblätter verteilten, zu einigen Zwischenfällen, die sich aber auf wortreiche Auseinandersetzungen beschränkten.

Liechtensteiner Volksblatt vom 7. Juli 1938
Der Gautag der Nationalen Front, der besonders aus Zürich stark besucht war, da ein Extrazug nach St. Gallen fuhr, war von ca. 5-600 Teilnehmern besucht. Die Haupttagung wickelte sich auf Vögelinsegg ab. Ungefähr um vier Uhr zogen die Frontisten mit ihren Fahnen und Musikkorps durch die Stadt St. Gallen, um sich dann im Schützengarten zu versammeln. Die Polizei war, um allfällige Störungen zu vermeiden, aufgeboten, doch verlief die Kundgebung in aller Ruhe.


Text: Peter Abegglen, September 2024