Bearbeiten von «Sticken»

Aus WikiSpeicher

Warnung: Du bist nicht angemeldet. Deine IP-Adresse wird bei Bearbeitungen öffentlich sichtbar. Melde dich an oder erstelle ein Benutzerkonto, damit Bearbeitungen deinem Benutzernamen zugeordnet werden.

Die Bearbeitung kann rückgängig gemacht werden. Bitte prüfe den Vergleich unten, um sicherzustellen, dass du dies tun möchtest, und veröffentliche dann unten deine Änderungen, um die Bearbeitung rückgängig zu machen.

Aktuelle Version Dein Text
Zeile 7: Zeile 7:
Aber erst 1829 gelang mit der Erfindung einer [[Handsticker Würzer|Mehrnadel-Plattstich-Handstickmaschine]] durch den Elsässer Josua Heilmann ein Durchbruch in der Produktionssteigerung. Seine mit 300 Nadeln ausgerüstete Maschine konnte das gewünschte Muster vielfach auf den Stoff übertragen. Mit dieser Handstickmaschine konnte ein geübter Sticker die Arbeit von 20 bis 30 herkömmlichen Stickerinnen erledigen. Diese Maschine blieb bis zum Ende der Handstickerei technisch so gut wie unverändert, wenngleich sie erst um 1850 durch Modifikationen von Jacob Bartholome Rittmeyer wirklich ausgereift war und in großer Zahl produziert wurde.<br>
Aber erst 1829 gelang mit der Erfindung einer [[Handsticker Würzer|Mehrnadel-Plattstich-Handstickmaschine]] durch den Elsässer Josua Heilmann ein Durchbruch in der Produktionssteigerung. Seine mit 300 Nadeln ausgerüstete Maschine konnte das gewünschte Muster vielfach auf den Stoff übertragen. Mit dieser Handstickmaschine konnte ein geübter Sticker die Arbeit von 20 bis 30 herkömmlichen Stickerinnen erledigen. Diese Maschine blieb bis zum Ende der Handstickerei technisch so gut wie unverändert, wenngleich sie erst um 1850 durch Modifikationen von Jacob Bartholome Rittmeyer wirklich ausgereift war und in großer Zahl produziert wurde.<br>


Das Video zeigt den Betrieb einer Plattstich-Handstickmaschine:<br>
Der folgende Video zeigt den Betrieb einer Plattstich-Handstickmaschine:<br>
{{#widget:YouTube|width=100%|height=480|id=XZyZXSsa43k}}<br>
{{#widget:YouTube|width=100%|height=480|id=XZyZXSsa43k}}<br>


==== Maschinenstickerei in Speicher ====
1846 gab es in Speicher bereits 27 Stickfabrikanten. Aus dem Bericht über die Industrie im Appenzellischen Jahrbuch von 1870 geht hervor, dass sich die Maschinenstickerei seit 1866 befriedigend entwickelte.<br>
 
'''"Namentlich hat Speicher die Situation richtig erfasst und ist weitaus der größte Produzent"'''.<br>
Die Mechanisierung der Stickerei gelingt 1850 für den Plattstich, zwanzig Jahre später für den Kettenstich. Die neuen Maschinen lösen in der Ostschweiz einen Stickerei-Boom aus, der siebzig Jahre später in einer verheerenden Krise zusammenbricht.
Die Handstickmaschinen für Plattstich (Pantografen) werden zunächst vor allem in Fabriken aufgestellt, im Appenzellerland zuerst 1856/57 in Speicher, Trogen und Bühler. Das Ende des Sezessionskriegs in den USA 1865 bewirkt eine Gründungswelle. Innert zwölf Jahren entstehen in Ausserrhoden 46 Fabriken mit 801 Maschinen.
Das Eidg. Fabrikgesetz von 1878 und eine erste Krise drängen die Stickmaschinen in die Heimarbeit ab. Mit den Stickautomaten entstehen erst nach 1900 wieder Fabriken. Grossbetriebe bleiben im Appenzellerland aber eine Seltenheit.
 
==== Stickfabrik als Zeitzeuge ====
[[Datei:Stickereifabrik Kohlhalden 5.jpg|mini|links|<small>ehemalige Stickereifabrik, heute Kohlhalden 5</small>]]
Das heutige Haus mit der Adresse Kohlhalden 5 wurde als typische Stickfabrik aus der Anfangszeit der Maschinenstickerei in Speicher im Jahre 1865 erbaut. Bis 1956 diente es als Stickfabrik.
[[Datei:Sticker an Handstickmaschine.jpeg|mini|rechts]]
 
 
 
 
 
 
Das Bild der Handstickmaschine mit dem Sticker am Pantografen stammt aus Speicher, möglicherweise aus dem Haus Kohlhalden 5.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
==== Speicher als Hotspot der Maschinenstickerei ====
1846 gab es in Speicher bereits 27 Stickfabrikanten. Aus dem Bericht über die Industrie im Appenzellischen Jahrbuch von 1870 geht hervor, dass sich die Maschinenstickerei seit 1866 befriedigend entwickelte und 
''Namentlich hat Speicher die Situation richtig erfasst und ist weitaus der größte Produzent.''<br>
    
    
In praktisch jedem zweiten Haus stand eine Handstickmaschine, die Stickfabriken nicht eingerechnet.<br>
In praktisch jedem zweiten Haus stand eine Handstickmaschine, die Stickfabriken nicht eingerechnet.<br>
Zeile 51: Zeile 23:
Allein in der Ostschweizer Textilindustrie wurden 1910 beinahe 20.000 Handstickmaschinen eingesetzt, die meisten standen immer noch bei Heimarbeitern in Stuben und Kellern, etwa ein Drittel in großen Stickfabriken.<br>
Allein in der Ostschweizer Textilindustrie wurden 1910 beinahe 20.000 Handstickmaschinen eingesetzt, die meisten standen immer noch bei Heimarbeitern in Stuben und Kellern, etwa ein Drittel in großen Stickfabriken.<br>
Bis zum 1. Weltkrieg wurde die Stickerei zum grössten und wichtigsten Exportartikel der Schweiz. Nicht nur in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, St. Gallen und Thurgau wurde gestickt, sondern auch in Vorarlberg.  Wenn ein Produktionsmittel die Ostschweizer Stickerei zur Blüte getragen hat, dann ist es die Handstickmaschine.<br>
Bis zum 1. Weltkrieg wurde die Stickerei zum grössten und wichtigsten Exportartikel der Schweiz. Nicht nur in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, St. Gallen und Thurgau wurde gestickt, sondern auch in Vorarlberg.  Wenn ein Produktionsmittel die Ostschweizer Stickerei zur Blüte getragen hat, dann ist es die Handstickmaschine.<br>


==Weltweite Wirtschaftskrise bringt auch Speicher in Not==
==Weltweite Wirtschaftskrise bringt auch Speicher in Not==
Bereits 1900 erkannte man die Probleme, welche unsere Region durch die einseitige Ausrichtung auf die [[Textilgewerbe und Textilindustrie|Textilindustrie]] verursachen könnte.<br>
Bereits 1900 erkannte man die Probleme, welche unsere Region durch die einseitige Ausrichtung auf die [[Textilgewerbe und Textilindustrie|Textilindustrie]] verursachen könnte.<br>
Im Appenzellischen Jahrbuch findet man folgende Aussage: ''Obwohl die Schifflisticker einiges mehr verdienen könnten, sei den Handstickern geraten, nicht auf Schifflistickerei zu setzen. Handmaschinen Stickerei sei Spezialitätenstickerei für eher kleinere Aufträge, daher sehr flexibel. Die Schifflisticker sässen zu oft auf ihren Produkten, weil die Menge gegenüber dem Absatz zu massiv ausgefallen sei.''<br>
Im Appenzellischen Jahrbuch findet man folgende Aussage:<br>
'''"Obwohl die Schifflisticker einiges mehr verdienen könnten, sei den Handstickern geraten, nicht auf Schifflistickerei zu setzen. Handmaschinen Stickerei sei Spezialitätenstickerei für eher kleinere Aufträge, daher sehr flexibel. Die Schifflisticker sässen zu oft auf ihren Produkten, weil die Menge gegenüber dem Absatz zu massiv ausgefallen sei".'''<br>


Die Blüte der Stickerei dauerte bis zum Ende der "Belle Époque", also dem Anfang des Ersten Weltkriegs und noch etwas darüber hinaus. Der Absatz brach komplett zusammen und die gesamte Region stürzte in eine grosse Wirtschaftskrise, welche sie um Jahrzehnte zurückwarf.<br>
Die Blüte der Stickerei dauerte bis zum Ende der "Belle Époque", also dem Anfang des Ersten Weltkriegs und noch etwas darüber hinaus. Der Absatz brach komplett zusammen und die gesamte Region stürzte in eine grosse Wirtschaftskrise, welche sie um Jahrzehnte zurückwarf.<br>
Zeile 66: Zeile 33:
Von 1914 bis 1935 sank der Wert der exportierten Stickereien von 200 auf 12 Millionen Franken, verbunden mit riesigen Entlassungswellen und Auftragsrückgängen. Viele Abnehmerstaaten, darunter insbesondere die USA, betrieben nun auch eine extensive Schutzpolitik zugunsten ihrer einheimischen Produktion, indem sie die Stickerei - Importe mit überrissenen Zöllen belegten (kommt einem irgendwie bekannt vor) oder – wie Deutschland – ganz verboten.<br>
Von 1914 bis 1935 sank der Wert der exportierten Stickereien von 200 auf 12 Millionen Franken, verbunden mit riesigen Entlassungswellen und Auftragsrückgängen. Viele Abnehmerstaaten, darunter insbesondere die USA, betrieben nun auch eine extensive Schutzpolitik zugunsten ihrer einheimischen Produktion, indem sie die Stickerei - Importe mit überrissenen Zöllen belegten (kommt einem irgendwie bekannt vor) oder – wie Deutschland – ganz verboten.<br>


Appenzell Ausserrhoden verlor in der Folge mehr als ein Fünftel seiner Bevölkerung. In Speicher sank die Einwohnerzahl gar um über ein Drittel, so dass 1941 nur noch 2137 Personen wohnhaft waren, also 132 Personen weniger als im Jahre 1800. Erst in den 1970er-Jahren erreichte Speicher wieder die Bevölkerungszahl von 1910, nämlich über 3000.<br>
Appenzell Ausserrhoden verlor in der Folge 22,5 Prozent seiner Bevölkerung.<br>
'''In Speicher sank die Einwohnerzahl um 35,5%, so dass 1941 nur noch 2137 Personen wohnhaft waren, also 132 Personen weniger also im Jahre 1800.'''<br>


Mehr als 90 Prozent der Stickmaschinen wurden verschrottet. Für die betroffenen Liegenschaften wurde sogar ein [[Bruggmoos 16|Verbot für das Aufstellen von Stickmaschinen]] im Grundbuch eingetragen. Arbeitslosigkeit machte sich breit. Das Gedeihen Speichers war aufs engste mit der Textilindustrie verbunden. Beinahe 200 Jahre war sie die hauptsächlichste Verdienstquelle der Bevölkerung gewesen. Nun stürzte die Armut viele Bauern und Heimarbeiter in Verzweiflung, denn die Kredite für den Kauf der Handstickmaschinen (auch als "Hungerorgeln" bezeichnet) mussten trotz fehlendem Einkommen abbezahlt werden. Das Klumpenrisiko einer einseitigen Industrie hatte man nicht rechtzeitig erkannt.<br>
Mehr als 90 Prozent der Stickmaschinen wurden verschrottet. Arbeitslosigkeit machte sich breit. '''Das Gedeihen Speichers war aufs engste mit der Textilindustrie verbunden.''' Beinahe 200 Jahre war sie die hauptsächlichste Verdienstquelle unserer Bevölkerung gewesen. Nun stürzte die Armut viele Bauern und Heimarbeiter in Verzweiflung, denn ihre gekauften Handstickmaschinen (auch als '''Hungerorgeln''' bezeichnet) mussten trotz fehlendem Einkommen abbezahlt werden. Das Klumpenrisiko einer einseitigen Industrie hatte man nicht rechtzeitig erkannt.<br>


Für die Textilkaufleute hingegen war das Heimarbeiterwesen mit wenig Kapitalaufwand und Risiko verbunden. Maschinen und Produktionsräume ging zu Lasten der Heimarbeiter. Ausserdem hielt das Überangebot an Arbeitskräften die Löhne tief. In diese Zeit fällt der Aufschwung der Gewerkschaften, die u. a. in der Person des [[Eugster Howard|"Weberpfarrers" Howard Eugster]] ihren Vorkämpfer hatten.<br>
Für die Textilkaufleute hingegen war das Heimarbeiterwesen mit wenig Kapitalaufwand und Risiko verbunden. Maschinen und Produktionsräume ging zu Lasten der Heimarbeiter. Ausserdem hielt das Überangebot an Arbeitskräften die Löhne tief.<br>


==== Produktion in Billiglohnländern - Kreativzentrum Ostschweiz ====
Trotz einem zwischenzeitlichen konjunkturellen Aufflackern nach dem Kriegsende 1918 fand wegen der maschinellen Konzentration ein steter Rückgang der Beschäftigten - und Betriebszahlen statt. In den Krisenjahren zwischen 1930 und 1940 verstärkte sich der Trend weiter, der nicht mehr gestoppt werden konnte. Der [[Handsticker Würzer|letzte Handsticker Speichers]] stellte seinen Betrieb im Jahre 1979 ein.
Trotz einem zwischenzeitlichen konjunkturellen Aufflackern nach dem Kriegsende 1918 fand wegen der maschinellen Konzentration ein steter Rückgang der Beschäftigten - und Betriebszahlen statt. In den Krisenjahren zwischen 1930 und 1940 verstärkte sich der Trend weiter, der nicht mehr gestoppt werden konnte. Der [[Handsticker Würzer|letzte Handsticker Speichers]] stellte seinen Betrieb im Jahre 1979 ein.
[[Datei:Würzer Stickereikleid Michèlle Obamas.jpg  |300px|thumb|rigth| Michèlle Obama Stickerei aus St. Gallen]]
[[Datei:Würzer Stickereikleid Michèlle Obamas.jpg  |300px|thumb|rigth| Michèlle Obama Stickerei aus St. Gallen]]
<br>
<br>
Die Automatisierung hatte die Handarbeit komplett verdrängt. In St. Gallen konnten sich noch namhafte Produzenten halten, welche weiterhin für den Weltmarkt qualitativ hochwertige Stickerei produzieren.<br>
Die Automatisierung hatte die Handarbeit komplett verdrängt. In St. Gallen konnten sich noch namhafte Produzenten halten, welche weiterhin für den Weltmarkt qualitativ hochwertige Stickerei produzieren.<br>
Unter anderem findet man Stickereien auch in den Kreationen von dem auch in Speicher ansässigen '''Modelabel "AKRIS"'''.<br>
Unter anderem findet man Stickereien auch auch Kreationen von dem in Speicher ansässigen '''Modelabel "AKRIS"'''.<br>
<br>
<br>
So trug etwa Michèlle Obama am 20.1.2009 bei der Amtseinführung ihres Mannes Barack Obama zum 44. Präsidenten der USA ein AKRIS-Kleid mit Stickerei der Firma Forster-Rohner aus St. Gallen.<br>
So trug etwa Michèlle Obama am 20.1.2009 bei der Amtseinführung ihres Mannes Barak Obama zum 44. Präsidenten der USA ein Kleid mit Stickerei der Firma Forster-Rohner aus St. Gallen.<br>
Nach und nach wird die Stickerei-Produktion in den fernen Osten verschoben, das kreative Zentrum bleibt aber weiterhin in der Ostschweiz.<br>
Nach und nach wird die Stickerei-Produktion in den fernen Osten verschoben, das kreative Zentrum bleibt aber weiterhin in der Ostschweiz.<br>


Bitte beachte, dass alle Beiträge zu WikiSpeicher von anderen Mitwirkenden bearbeitet, geändert oder gelöscht werden können. Reiche hier keine Texte ein, falls du nicht willst, dass diese ohne Einschränkung geändert werden können.

Du bestätigst hiermit auch, dass du diese Texte selbst geschrieben hast oder diese von einer gemeinfreien Quelle kopiert hast (weitere Einzelheiten unter WikiSpeicher:Urheberrechte). ÜBERTRAGE OHNE GENEHMIGUNG KEINE URHEBERRECHTLICH GESCHÜTZTEN INHALTE!

Abbrechen Bearbeitungshilfe (wird in einem neuen Fenster geöffnet)